Ein Interview mit Laetitia von Anstetten über Camp Kleister
Nitewalkz: Du warst Mit-Initiatorin von Camp Kleister und hast die Pressearbeit organisiert. Was hatte es mit Camp Kleister auf sich?

Laetitia von Anstetten: Camp Kleister ist im September 2003 aus der Beschäftigung mit der Werbung im öffentlichen Raum entstanden. Die Idee war, durch lokale Aktionen die Dominanz von Werbung im öffentlichen Raum zu durchbrechen, die Werbetafeln zu befreien und an die Menschen zurückzugeben, die täglich damit umgehen müssen. Wir haben uns Sponsoren gesucht und bei den Vermietern von Plakatflächen angefragt. Die AWK in Koblenz hat uns Werbetafeln zu einem sehr geringen Preis überlassen, so dass wir sie weitergeben konnten. Die Aktion sollte ein Bewusstsein dafür schaffen, wie man sich im öffentlichen Raum bewegt: Wie und ob man die Stadt nutzt. Das erklärte Ziel war es Berlin-Friedrichshain komplett frei von grossen Werbetafeln zu bekommen. Das hat im Endeffekt nicht ganz geklappt, hat aber so eigentlich noch deutlicher den Gegensatz illustriert. Die dominante Monokultur auf der einen Seite und die individuellen Gestaltungen auf der anderen.

Jeder konnte sich bei uns mit seinem Projekt bewerben, die einzige Grundbedingung war, dass keine Werbung auf den Plakaten gemacht wurde. Am liebsten wäre es uns gewesen, wenn ein Grossvater seiner Frau auf einer Plakatwand zum Geburtstag gratuliert hätte. Letztendlich waren es aber doch vor allem Künstler die sich bei uns gemeldet haben. Für den "Normalbürger" gibt es wahrscheinlich eine riesengrosse Hemmschwelle sich auf einer grossen Werbetafeln auszudrücken. Oder er ist schlimmstenfalls stumpfsinnig bzw. desinteressiert.

Nitewalkz: Würdest du der These zustimmen, dass Werbetafeln eine Verschmutzung öffentlichen Raums darstellen?

Laetitia von Anstetten: Ja, im Grunde genommen schon. Es ist einfach ein Problem, dass diese Werbung so massiv auftritt. Das ständige Gefühl der Unzufriedenheit das einem im privaten und öffentlichen Raum suggeriert wird. Eine ständige penetrante Anwesenheit die mich unterbewusst beeinflusst, was mich extrem stört, weil ich nicht die Möglichkeit habe zu sagen: „Nein, ich will nicht!“

Nitewalkz: Wie sahen die Beteiligungen der einzelnen Künstler im Detail aus?

Laetitia von Anstetten: Es gab lokale Beteiligung, wie zum Beispiel die Fotografen vom „Studio Frische Fotos“ hier um die Ecke; Berliner, Leipziger und Dresdner Streetart-Künstler - wie z.B. Gold oder Ideal -, k7 aus Halle und Leute aus unserem genausoundanders-Umfeld.
Luise Wagener hat zum Beispiel eine Werbetafel verschwinden lassen, indem sie die Tafel in der Farbe der dahinterliegenden Wand gestrichen und ein Foto eines spiegelnden Fenster darauf angebracht hat.

Nitewalkz: War Camp Kleister eher politisch oder künstlerisch motiviert oder eine Mischung aus beidem?

Laetitia von Anstetten: Weder noch. Zumindest nicht vordergründig. Die Aktion ist meiner Meinung eine adäquate Reaktion auf ein Unwohlsein, weniger intellektuell als vielmehr aktionistisch. Man könnte ja auch argumentieren, dass man die Werbung ja beim Kauf eines Produktes schon mitbezahlt hat und somit ein Recht hat sie zu benutzen. Das ist die Grundaussage: „Du darfst das tun!“ Dadurch dass es aber illegal ist, das zu tun, traut sich niemand Einfluss zu nehmen. Von außen wird das natürlich politisch eingeordnet, aber so ist es nicht intendiert.

Nitewalkz: Umbert Eco schrieb in seinem Essay „Für eine semiologische Guerilla“, dass die Rezipienten dazu angeleitet werden können, die Beeinflussung durch Werbetafeln „gegen den Strich“ zu bürsten und sich so der sublimen Wirkung zu entziehen.

Laetitia von Anstetten: Konsumenten müssen generell dazu angeleitet - oder besser angeregt - werden nachzudenken, denn das ist letztendlich das einzige was sie entgegenzuhalten haben und eben auch ein unheimliches Machtmittel. Es ist Quatsch zu behaupten man ließe sich nicht von Werbung im öffentlichen Raum beeinflussen. Die unterbewussten Prozesse die durch die Überpräsenz und das Nebenbei-Dasein von Werbung angeregt werden, beeinflussen jeden in seinen Entscheidungen.

Nitewalkz: Wie hat der „Normalbürger“ auf eure Aktion reagiert?

Laetitia von Anstetten: Das was bei uns in der Camp Kleister-Zentrale ankam, war hauptsächlich von Sympathie und Interesse geprägt. Eine nette Geschichte die einem Künstler passiert ist, war, dass eine junge Dame mit ihrem Kind vorbeikam und sich bei ihm bedankt hat, weil sie endlich mal etwas Schönes sehen würde, wenn sie aus dem Fenster guckt. Manche Leute haben sich regelrecht befreit gefühlt. Der Stadtraum Berlin wird aber grundsätzlich nicht mit viel Respekt behandelt. Auch wir müssen damit rechen, das unsere Sachen beschmiert oder beklebt, also: weiterbenutzt werden.

Nitewalkz: Ist die Aktion Camp Kleister in deinen Augen erfolgreich gewesen?

Laetitia von Anstetten: Natürlich. Das Experiment hat uns alle in der Auseinandersetzung mit dem Thema weitergebracht und unsere Präsenz in der Öffentlichkeit weiter gestärkt. Wir hoffen auch, dass wir ein Bewusstsein für die Omipräsenz von Werbetafeln geschaffen und Anregungen zum kreativen Umgang mit ihnen gegeben haben.

Nitewalkz: Culture Jamming ist ja mittlerweile im Museum angekommen. Denkst du das diese Art von Aktion im Museum richtig aufgehoben ist?

Laetitia von Anstetten: Ich glaube, dass es dort nicht funktioniert. Als die Welle von Street Artists ins Museum geholt wurden, kam ein Freund von mir aus einer Ausstellung zurück und meinte alles sei so flach und ästhetisiert. Streetart oder Culture Jamming sind eine Art von direkter Reaktion und funktionieren folglich nur dort, wo sie direkt reagieren. Sobald man diese Dinge anfängt zu zerlegen und zu analysieren, verlieren sie viel von ihrer eigentlichen Wirkungsweise.

Nitewalkz: Wie würdest du Culture Jamming definieren?

Laetitia von Anstetten: Culture Jamming ist eine Freiheit oder Frechheit die man sich herausnehmen kann, öffentliche Zeichen oder öffentlichen Raum kreativ zu benutzen. Culture Jamming ist außerdem ein Spiel mit Wahrnehmungen und Aufmerksamkeiten.

Nitewalkz: Was bedeutet Copyright für dich?

Laetitia von Anstetten: Copyright ist in dem System, das so ist wie es ist, nötig, damit Künstler von ihrem kreativen Output leben können. Andererseits steht es der kreativen Auseinandersetzung mit der Gegenwart und der freien kulturellen Entwicklung im Weg. Anerkannte Kulturtechniken wie z.B. Copy&Paste oder Sampling basieren zum grossen Teil auf Copyright-Verletzungen.