Ein Interview mit Franco und Eva Mattes von 01.org
Nitewalkz: Könnt ihr euch und eure Arbeit kurz vorstellen?

Franco Mattes: Wir sind ein Künstlerduo, bekannt als 0100101110101101.org. Unsere Arbeit wird oft als Media Hacking, NetArt, Culture Jamming oder so beschrieben, aber all diese Begriffe bieten keine perfekte Beschreibung unserer Arbeit.

Nitewalkz: Was ist Culture Jamming?

Franco Mattes: Das Wort “Culture Jamming” stammt von der Gruppe Negativland, die den Begriff erstmals zu Beginn der 90er benutzt haben. Nachdem ihn Naomi Klein, in ihrem Buch “No Logo!”, und die Adbusters benutzt haben wurde der Begriff populär.

Eva Mattes: "Culture Jamming" ist der natürliche Instinkt der Menschen vorhandene Dinge einfach zu nehmen und zu manipulieren und sie zu etwas Neuem zusammenzufügen: Symbole des täglichen Lebens zu entwenden und kreativ damit zu arbeiten.

Franco Mattes: Es ist im Prinzip eine Art Collage, die zeitgenössische Materialien aus verschiedenen Richtungen benutzt. Nicht nur visuelles Material, sondern auch Radiowellen, Sounds etc. Ohne um Erlaubnis zu fragen. Das ist sehr wichtig für “Culture Jamming”! Diese Dinge existieren und man sollte sie benutzen dürfen, ohne um Erlaubnis zu fragen, weil sie der Öffentlichkeit gehören: Symbole, Ideen, Musik, Slogans, Logos und so weiter…

Nitewalkz: Euer grösstes Projekt bisher war Nikeground. Könnt ihr die Idee hinter “Nikeground” erläutern?

Franco Mattes: “Nikeground” war eine Performance wie wir im September 2003 in Wien gestartet haben, in Zusammenarbeit mit Public Netbase. Die Grundidee war, zu behaupten, dass Nike eine neue Guerilla-Marketing-Kampagne namens “Nikeground” ausheckt. Diese Kampagne sollte darauf basieren öffentliche Plätze in allen Hauptstädten der Welt zu kaufen und neu zu benennen. So hätte man irgendwann Piazza Nike, Plaza Nike, Nike-Strand, Nikestreet, Nikestrasse und so weiter. Das erste Opfer dieser Kampagne war der historische Karlsplatz in Wien: Wir behaupteten, dass im Januar 2004 der Karlsplatz in Nikeplatz umbenannt werden soll.

Wir initialisierten eine große Marketing- und Medienkampagne: Massive Verteilung von Flyern in den öffentlichen Verkehrsmitteln und eine “NikeStyle”-Website: nikeground.com. Aber die Hauptattraktion war die Nike-Infobox, ein acht Tonnen schwerer High-Tech-Design-Container mit eingebautem Aufzug.

Eva Mattes: Es musste alles sehr stylish und designt sein, damit es glaubwürdig war, dass Nike dahinter steckt.

Franco Mattes: Der Container wurde in der Mitte des Karlsplatz installiert und drei gefakte Nike-Angestellte arbeiteten dort. Dann haben wir die Neuigkeit verbreitet, dass der Karlsplatz umbenannt werden soll und ein grosses Monument auf dem Karlsplatz errichtet werden soll: Der Nike “Swoosh”. 36 Meter lang und 18 Meter hoch.

Das hat die Bürger von Wien natürlich extrem geschockt, denn natürlich wollten sie kein Scheiss-Plastik-Monument auf ihrem Karlsplatz. Der Stadtrat hat dann schnell verkündet, dass sie mit der Kampagne nichts zu tun haben und behaupteten, dass nach dem Zweiten Weltkrieg eine Umbenennung von Strassen und Plätzen mit „ungewöhnlichen“ Namen gar nicht möglich sei: Um das Postsystem nicht zu stören. Die Bürger waren aus den verschiedensten Gründen sauer: Einige fanden es nicht gut, dass Nike überall auf der Welt Menschen in Sweatshops beschäftigt, andere wollten ein öffentliches Referendum für so eine große Entscheidung. Aber die Hauptreaktion war überraschenderweise: “Wenn die Stadt dadurch Geld verdient… lasst sie machen!“ or: “Denen gehört eh schon alles, dann sollen sie auch dafür zahlen? Vielleicht können sie für die Umbenennung die Plakatierung in den Strassen eindämmen.”.

Eva Mattes: Und dann kam Nikes Reaktion. Am Tag der Eröffnung kamen sie um zu sehen, wer hinter der Aktion steckt. Sie gaben eine Presseerklärung ab, dass Nike nichts mit der Aktion zu tun hat. Wir versuchten ihnen zu erläutern, dass wir ein kulturelles Projekt durchführen und die Idee spannend fanden, dies mit dem Nike-Logo zu tun. Weil es Omnipräsent ist! Wir sehen es jeden Tag, seit wir geboren sind, warum können wir es dann nicht für ein kulturelles Projekt nutzen? Unsere Landschaften sind voll mit Logos und viele Künstler nutzen Landschaften für ihre Arbeit.

Nike konnten diesen Argumenten nichts abgewinnen. Wir erhielten eine einstweilige Verfügung, die beeinhaltete, dass wir jede Referenz zu Nikes Namen und Logo innerhalb von 72 Stunden entfernen müssen. Andernfalls erwartete uns ein Rechtsstreit über 78.000 Euro. Wir entschieden uns bis zum Ende des Monats nichts zu unternehmen. Im Endeffekt gab es eine Verhandlung und ihre Anfrage wurde zurückgewiesen, da unser Anwalt glaubhaft darstellen konnte, dass wie ein kulturelles Projektdarstellen und keinen Konkurrenzkampf gegen Nike führten. So hatte Nike zu akzeptieren, dass ihre Symbole in Kunst und Kultur genutzt werden können.

Nitewalkz: Was für eine Reaktion wolltet ihr provozieren? Was war das Ziel der Aktion?

Franco Mattes: Wir haben es nicht getan um eine Reaktion zu provozieren. Wir tuen nie Dinge um eine direkte Reaktion zu bekommen. Wir wollten die gesamte Stadt austricksen und jede Reaktion war willkommen. Vielleicht haben wir mehr Gegenstimmen erwartet und nicht: “In Wien passiert ja eh nie was. Besser als nichts…”

Nitewalkz: Lasst uns über Darko Maver sprechen? Wer war er?

Franco Mattes: Darko Maver war ein Projekt, dass wir im Jahre 1998 gestartet haben und das bis ins Jahr 2000 anhielt. Es ging darum einen nicht-existenten Künstler zu kreieren und ihn populär zu machen. Darko Maver wurde im ehemaligen Jugoslawien mit einer stereotypen Biografie geboren. Der perfekte Künstler: Er lebte ein totales bohème Leben, keine bekannten Eltern, keine Kunstschule, Probleme mit Drogen und Authoritäten und so weiter. So konnten wir sicher sein, dass sich die Medien unmittelbar auf diesen neuen “Modekünstler” aus Osteuropa stürzen würden.

Der fiktionale Darko Maver baute sehr realistische Mordszenarios mit Schaufensterpuppen – ein wenig Splatter-Movie mäßig – die er an öffentlichen Orten hinterließ (Bahnstationen, öffentlichen Toiletten, Hotelzimmern etc.). Er kreierte also diese gewalttätigen Situationen die auf unvorbereitete Leute warteten, die diese entdecken und die Medien alarmieren sollten. Keine Schaufensterpuppe hat je existiert und keine serbische Zeitung hat jemals über Darko Maver’s Performances berichtet . Die Bilder, die für "lebensechte Puppen" gehalten wurden, waren Fotos von echten Verbechen, schreckliche Aufnahmen von Leichen, die frei im Internet kursieren.

Der interessante und kranke Aspekt der Geschichte war die Matruschka-Puppen-Struktur. Was Darko Maver in der Fiktion tat – realistische Szenen bauen um Medienreaktion zu bekommen – war dasselbe was wir – 01.org – in der Realität taten. Wir zeigten Darko Mavers Arbeiten in Ausstellungen und Galerien, wir fälschten Presseberichte und Lebensläufe … was immer man braucht um die Karriere eines Künstlers zu pushen. Als wir meinten, dass wir genug von Darko haben – die Medienaufmaerksamkeit war am Größten – töteten wir ihn, weil das seine Popularität nur noch erhöhen würde. Wie jeder weiß ist ein toter Künstler besser als ein lebendiger. Als wir 1999 zur Biennale in Venedig eingeladen wurden, gestanden wir der Öffentlichkeit, das Darko Maver nie existiert hat. Das war natürlich ein Riesenskandal in der Medien- und Kunstwelt. Aber ich möchte auf jeden Fall klarstellen, dass Darko Maver kein Prank gegen Kunstinstitutionen, Gallerien und Magazine war. Die meisten von ihnen wussten, dass es ein Fake war und kollaborierten mit uns. Das Projekt sollte vielmehr beweisen, dass Kunst geplant und synthetisiert werden kann und sehr erfolgreich ist, wenn man die richtigen Dinge mit den richtigen Leuten tut.
Wir wollten die Mechanismen enttarnen, mit denen ein Künstler promoted und kreiert wird, indem wir sie auf den Kopf stellten...

Nitewalkz: Momentan arbeitet ihr an dem Projekt United We Stand. Worum geht es da?

Franco Mattes: “United We Stand” ist eine Promotionkampagne für einen nicht-existierenden Film. Der “Film” heisst UWS und der Untertitel ist: “Europe Has A Mission!”. Die Kampagne startete mit der Produktion eines Posters, auf dem fünf Schauspieler zu sehen sind. Zwei von ihnen sind Ewan McGregor und Penelope Cruz. In der Mitte des Posters ist eine grosse europäische Flagge und unter der Flagge bekämpfen sich zwei Armeen: die chinesische und die amerikanische. Diese Situation scheint in naher Zukunft für viele Analysten sehr wahrscheinlich zu sein. Sie behaupten, dass die Vereinigten Staaten aus ökonomischen Gründen in etwas zehn Jahren China den Krieg erklären werden. Der Film handelt von einer Task-Force, die vom europäischen Präsidenten – ein sehr hübscher und charmanter Kerl – zusammengestellt wird: fünf hochtrainierte Spezialisten, bekannt als der Deutsche, der Italiener, der Engländer, die Spanierin und die Französin. Diese Task-Force hat die Mission einen globalen Krieg zwischen China und den USA zu verhindern und zwar ohne Gewalt. European Style!

Wir bewarben den Film mit einer riesigen Poster-Kampagne in Berlin, Bruessel, Barcelona, New York City, Bangalore (Indien), Wien und Bologna.

Eva Mattes: Es soll ein europäischer Propagandafilm werden, produziert von der Europäischen Union, um die veraltete Ikonografie aufzufrischen. Ein Blockbuster um den Menschen die "Europäischen Idee” nahzubringen..

Nitewalkz: Und was ist die „Europäische Idee“?

Franco Mattes: Keine Ahnung! Das weiß niemand...

Eva Mattes: Das ist der Hintergrund der Kampagne. Wir wollen, dass die Menschen darüber nachdenken, wie Europa sein soll. Genauso patriotisch und stark wie die USA? Oder soll es die kulturellen Variationen und Verschiedenheiten Europas betonen?

Franco Mattes: Wenn man Leuten sagt “Verhalte dich wie ein Europäer!” oder “Sei Europäisch!” wissen sie nicht wie sie sich verhalten sollen. Es gibt keine europäischen Stereotypen. Es gibt deutsche Stereotypen – blondes Haar und Bier -, italienische – gutaussehend und ständig am bescheissen – und englische – roter Kopf und ständig betrunken – und so weiter. Aber es gibt kein einigendes europäisches Stereotyp und wahrscheinlich wird es nie eins geben. Und warum nicht? Man denke an Peter Fonda in “Easy Rider” und an seine Lederjacke mit der europäischen Flagge darauf. Klingt unglaublich blöde. Oder: Jasper Jones. Man stelle sich seine Arbeit mit der europäischen Flagge vor. Das bringt einen zum Lachen. Aber warum?

Lachen wir, weil wir kein blödes Branding wie die USA brauchen? Oder lachen wir aus Frustration, weil wir kein Referenzsystem haben und nicht fähig sind eins zu erstellen? Oder lachen wir weil wir wissen, dass wie eines Tages so ein Bild haben werden: Eine große mächtige Union anstatt kleine unabhängige Länder?

Eva Mattes: Die Kampagne ist eine Piraterie typisch amerikanischer Propagandafilme wie “Saving Private Ryan” oder “Black Hawk Down”. Diese Filme sind schlecht getarnte Aktionfilme was ihre intellektuelle Armut zeigt. Unser Film ist vielschichtiger: Er macht sich über diese Filme lustig und stellt auf der anderen Seite die Frage: Was wollen wir in Zukunft sein? Was will Europa?

Nitewalkz: Ist das was ihr macht Kommunikationsguerilla?

Franco Mattes: Du kannst es nennen wie du willst: Kommunikationsguerilla, InfoWar, Hacking Art, Medienaktivismus, Media Hoaxing oder einfach nur: Kunst!

Nitewalkz: Seid ihr Künstler oder linksgerichtete Aktivisten?

Franco Mattes: (lacht) Nichts von beidem, aber eher ersteres.

Nitewalkz: Wir würdet ihr euch beschreiben??

Franco Mattes: Normalerweise sagen wir, wir sind Zuschauer. Wir kreieren diese paradoxen Situationen und dann sitzen wir im Publikum und schauen was passiert.

Nitewalkz: Situationen! Kennt ihr das Buch Die Gesellschaft des Spektakels von Guy Debord? Seid ihr beeinflusst durch die Situationistische Internationale?

Franco Mattes: Ich habe das Buch nie gelesen und auch keine ihrer Publikationen. Es wundert mich, das wir und unsere Arbeit in Europa immer mit der Situationistischen Internationalen verglichen werden. Wir kennen sie nicht wirklich und sind viel zu jung um ein Teil dieser Bewegung gewesen zu sein.

Eva Mattes: Wir sind vielmehr beeinflusst duch Popkultur…

Franco Mattes: …amerikanische Drogen…, Prankster wie Joey Skaggs oder die KLF der frühen Neunziger, Dada, Futurismus

Nitewalkz: KLF bezeichnen sich selbst als Situationisten…

Eva Mattes: Dann liegen KLF falsch!

Nitewalkz: Würdet ihr der These zustimmen, dass Werbetafeln und –anzeigen eine Verschmutzung des öffentlichen Raums darstellen?

Eva Mattes: Irgendwie schon… weil es da ist und man nichts dagegen tun kann. Der einzige Weg diese Verschnmutzung zu entgehen, ist kreativ damit umzugehen.

Franco Mattes: Ich bin daran gewöhnt. Ich wurde in diese Gesellschaft hineingeboren und es kommt nicht vom Mond oder einem anderen Planeten. Es ist wie Fernsehen, Playstation, Techno Musik etc. Es stört mich nicht. Das ist meine Welt. Ich habe nie in einer Welt ohne Werbeplakate gelebt und ich kann mir auch keine Welt ohne Bäume vorstellen. Vielleicht würde ich es mögen, vielleicht auch nicht.

Nitewalkz: Denkt ihr, dass die Art wie eine Information verbreitet wird den Inhalt dieser Information beeinflusst?

Franco Mattes: Nein. Ich denke, dass McLuhan total falsch lag. Das Medium ist NICHT die Botschaft, die Botschaft ist die Botschaft. Werkzeuge werden überbewertet. Es gibt eine grosse Diskussion über Werkzeuge und die Art wie eine Information verteilt und wahrgenommen wird. Lasst uns alle Energien auf den Inhalt bündeln und nicht auf den Container oder die Werkzeuge.

Eva Mattes: Je mehr Informationen man von verschiedenen Quellen und Orten bekommen kann, desto präziser ist das Bild von dem was wirklich passiert. Ich würde alle Informationen auf ein Level heben.

Nitewalkz: Was denkt ihr über die heutigen Copyright-Gesetze?

Franco Mattes: Vollkommen überholt. Heutige Copyright-Gesetze schützen nicht den Künstler , sondern den Vertrieb. Label, grosse Kustinstitutionen, Verleger und globale Filmvertriebe.

Eva Mattes: Die freie Verteilung und Nutzung von Kultur sollte wichtiger sein, als das Gesetz welches einzelne Werke schützt.

Franco Birkut: Die freie Verteilung und die faire Benutzung von Kultur steht nicht im Widerspruch zu dem Umstand, das ein Künstler für seine Arbeit bezahlt wird.

Zum Beispiel: Das Free Software Movement. Linux zeigt, dass man so überleben und sogar gegen gigantische, multinationale Firman gewinnen kann. Oder Negativland: Sie machen Musik seit 1981 ohne Copyrights und es gibt sie immer noch. Oder Wu-Ming: Fünf italienische Schriftsteller die ihre Bücher zum freien Download anbieten.

Wir verkaufen limitierte Kopien desselben Inhalt den man auf unsere Website runterladen kann. Und wir investieren das Geld, was wir verdient haben in die Erhaltung der freien Verbreitung von Kontent.. Die Autorenrechte waren grundsätzlich superdemokratisch als sie vor hunderten von Jahren erfunden wurden. Sie erlaubten Einzelpersonen unabhängig von religiösen oder politischen Institutionen aufzutreten. Heutzutage ist das Gegenteil der Fall: Die Möglichkeiten eines Künstlers werden beschnitten... und die kulturelle Entwicklung wird gebremst, anstatt beschleunigt!